Buchtipp für Erwachsene April 2019

Nora Krug: Heimat

ein deutsches Familienalbum. - München : Penguin Verlag, 2018. - 286 un-gezählte Seiten
ISBN 978-3-328-60005-3 fest geb. : EUR 28.00


(© Penguin Verl.)

Am 27. Juli wird Nora Krug für ihr Buch „Heimat – ein deutsches Familienalbum" mit dem Schubart-Literaturförderpreis 2019 ausgezeichnet.

Nora Krug wurde 1977 in Karlsruhe geboren. Die Tochter einer Lehrerin und eines Professors für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik machte 1996 an einem Karlsruher Gymnasium Abitur. Ab demselben Jahr studierte sie Bühnen- und Grafikdesign am Liverpool Institute for Performing Arts. Nach dem Bachelorabschluss studierte sie Illustration und Dokumentarfilm an der Universität der Künste Berlin, wo sie 2002 auch ihre Diplomprüfung ablegte. Im selben Jahr ging sie als Fulbright- und DAAD-Stipendiatin an die School of Visual Arts in New York, wo sie 2004 den Master of Fine Arts erwarb. 2005 wurde sie als Professorin für Illustration und zeichnerische Darstellungstechniken an die Muthesius Kunsthochschule Kiel berufen und kehrte nach Deutschland zurück. Zwei Jahre später folgte sie dem Ruf auf eine Professur in Illustration an die Parsons School for Design New York City, wo sie bis heute lebt. Nora Krug ist mit einem Nachkommen deutsch-jüdischer Emigranten verheiratet und hat eine kleine Tochter.

„Heimat" ist zum einen eine Familiengeschichte, zum anderen geht es um die sehr deutschen Themen Vergangenheitsbewältigung und eben – wie der Titel schon sagt – Heimat.

Ausgangspunkt ist die Frage „Wie kann man begreifen, wer man ist, wenn man nicht versteht, woher man kommt?" und das Hadern mit ihrer eigenen, deutschen Identität. Und was sie ebenfalls beschäftigt: War Opa ein Nazi? Welche Rolle haben Mitglieder ihrer Familie im Dritten Reich gespielt?

Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, begibt sich Nora Krug auf eine Reise in die eigene Familiengeschichte und zwar sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits. Sie durchforstet Archive, Schachteln mit alten Fotos, trifft Verwandte, die sie aufgrund der komplizierten Familienverhältnisse ihres Vaters noch nie getroffen hat, liest Briefe und Akten, interviewt Heimatforscher in der Heimatstadt ihres Vaters und macht Zeitzeugen ausfindig.

Zu Ihrem Schock muss sie erfahren, dass ihr Großvater Willy, der angebliche Sozialdemokrat, ab 1933 Mitglied der NSDAP war und nach dem Krieg bei der Entnazifizierung zunächst als „Belasteter" eingestuft wurde. Dank des guten Leumundszeugnisses eines Mannes, der mit einer Jüdin verheiratet war, und den Willy im Dritten Reich unterstützt hatte, und weiterer Zeugenaussagen wurde er letztlich dann doch als „Mitläufer" eingestuft.

Penibel rekonstruiert Krug die Geschichte ihrer Familie. In „Heimat" präsentiert sie aber nicht nur die Ergebnisse ihrer Recherchen, sondern berichtet auch von den Recherchen selbst, von Besuchen in Archiven, von Reisen in die Heimatstadt ihres Vaters (Külsheim im Main-Tauber-Kreis), Begegnungen mit Zeitzeugen und Heimatforschern, dem Stöbern in Schachteln mit Familienandenken.

Obwohl ein sehr intimes Buch, soweit eigentlich nichts Neues. Das Besondere ist, wie die Grafikdesignerin und Illustratorin das ganze umsetzt: „Heimat" ist eine üppige Collage aus eigenen Illustrationen und Bildergeschichten, Fotos, Faksimiles von alten Schulaufsätzen ihres 1944 gefallenen Onkels, Postkarten, Zeitungsauschnitten und Akten bis hin zu Kondolenzschreiben und Totenbildchen. Sogar der Fließtext ist von Hand geschrieben.

Sechs Jahre lang hat Nora Krug an „Heimat" gearbeitet. Herausgekommen ist dabei nicht einfach eine Familiengeschichte, sondern ein inhaltliches und formales Gesamtkunstwerk, das vielleicht den einen oder anderen dazu anregt, sich mit der Geschichte seiner eigenen Familie zu beschäftigen. Übrigens ist das Buch nicht nur der Schubartpreisjury aufgefallen, sondern auch dem Evangelischen Literaturportal, dem Dachverband der evangelischen öffentlichen Büchereien. So gibt es dafür nicht nur den Schubart-Literaturförderpreis, sondern auch den Evangelischen Buchpreis 2019.

Michael Steffel